Endspiel im Kopf

Alles begann so friedlich. So nichtsahnend. Mitten in Deutschland – in einer Werbeagentur bei Köln. In Brasilien feiert die Welt ein Spitzensportereignis namens Fußballweltmeisterschaft und ich telefoniere wegen eines Auftrags mit Tom. Da fällt der entscheidende Satz in der Nachspielzeit: „Mensch, trag dich doch auch ein. Kicktipp. Die ganze Agentur macht mit.“ Okay, denke ich. Kann ja ganz lustig sein. Einfach online registrieren und tippen. Das macht die ganze WM-Veranstaltung ja noch spannender.

Dann geht alles ganz schnell. Die Tage verrinnen und die Vorrunde zieht ins Land. Nach einigen herben Verlusten scheine ich den Dreh aber raus zu haben. Immerhin dümple ich nicht mehr im unteren Drittel herum, sondern klettere mit meinen Tipps ganz solide langsam an die Spitze der Tabelle. Während eines Briefings lasse ich mir von Jenny sogar die Namen zu den Nicknames der anderen Mitspieler geben und ich beginne zu verstehen. Patrick ist „the_defeater“ – sehr passend. Tom betitelt sich als „Fußballgott“. Ich weiß jetzt also, wer meine Gegner sind. Georg liegt fast die ganze Zeit an der Spitze. Sehr verdächtig.

Und ich höre, dass Tim seinen Tipps eine penible Analyse voranstellt – ganz der Konzeptioner. Er weiß scheinbar schon vorher, wer spielt und wer verletzt sein wird. Offenbar glaubt er daraus seine Schlüsse ziehen zu können. Ich hingegen schieße generell aus der Hüfte. Also nicht zielen – einfach schießen. Wie beim Elfmeter. Wer da zu viel denkt, trifft auch nicht. Außerdem muss man antizyklisch tippen – das ist das A und O. Sonst tippt man ja wie alle anderen und das kann nichts geben. Deshalb versuche ich bei meinen Tipps nur ein Mindestmaß Verstand einzubringen. Darin bin ich gut.

Ich ertappe mich dabei, wie ich wiederholt Screenshots von den Tabellenständen mache, um sie triumphierend Unbeteiligten unter die Nase zu reiben. Denn nichts ist so vergänglich wie Ruhm und morgen kann alles schon wieder anders aussehen. Meine Hybris wächst ins Unendliche. Ich glaube nicht mehr daran, dass noch irgendetwas zwischen mich und den Sieg kommen könnte. Denn ich stehe mittlerweile an Platz zwei. Vizezwischenmeister sozusagen. Vorbei an Patrick, vorbei an Johnny und vorbei an Franzi. Gut, Letztere scheint seit dem Auftaktspiel nicht mehr zu tippen – aber Tabelle ist Tabelle und ich liege gut im Rennen.

Letztendlich scheint sich alles zu fügen – und der Gerechtigkeit wird endlich Genüge getan. All die Schmach aus dem Schulsport und der kurzen Karriere als Torwart eines Dorfvereins – wie weggewischt. Sicher, mein Fachwissen ist jetzt nicht besonders faktenlastig. Und außerhalb von Turnieren stehe ich nicht im Verdacht ein großer Fußballfan zu sein. Aber darum geht es ja auch nicht. Es geht darum, ein Spiel nicht nur lesen zu können – man muss es spüren können. Man muss es vorausahnen können. Das ist für Außenstehende nur schwer in Worte zu fassen. Mit großer Kraft kommt große Verantwortung. Und überhaupt. Ich beginne ihn zu erahnen. Den Druck. Den übermenschlichen Druck. Ich verstehe einen Mertesacker und seine Abscheu vor dämlichen Fragen. Ich verstehe auch den bissigen Mann aus Uruguay. Alles Druck. Der muss raus.

Während ich diese Zeilen schreibe, liege ich übrigens auf Platz 9. Das Schicksal hat sich gegen mich gewendet. Selbst Lena ist an mir vorbeigezogen – vielleicht kriegt sie Tipps von Tim. Oder Georg. Auf alle Fälle ist es vorbei. Ich glaube, dass es begann, als ich an einem Tag der Vorrunde meine Tipps vergessen habe. Verwöhnt vom Erfolg bin ich unvorsichtig geworden und so was rächt sich. Jetzt sind nicht mehr genug Punkte im Topf, um wieder an die Spitze zu kommen.

Aber das ist kein Problem für mich, denn ich habe schon einen Plan B. Ein Oliver Kahn lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Eine 1000 € Wette auf das Endspiel. Aus der Hüfte. Im Wettbüro um die Ecke, bei dem netten Mann mit dem Goldzahn. Alles wird wieder gut.

Tor.

Autor: Daniel Schreiber

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