Heilbuttvorlage im Widerstand

Als ich Mitte der achtziger Jahre zusammen mit meinem großartigen Opa einen Urlaub in der damaligen DDR machte, führte dies dank eines Ost-Berliner Softeises zu einer viertägigen, fulminanten Magenverstimmung, deren Zenit ich während einer elfstündigen Zugfahrt nach Hause erlebte. Ich schätze, dass dies zu meiner grundlegenden Skepsis gegenüber dem Konzept des Verreisens geführt hat. Ein durchaus verständlicher Umstand, wenn man bedenkt, dass „Magenverstimmung“ die freundlichste Umschreibung ist, die ich dieser Situation in diesem Zusammenhang geben möchte. Ein Worst-Case-Scenario im besten Sinne des Wortes. Mein Vietnam.

 

 

Warum ich das erwähne? Ganz einfach. In unserer Kölner Agentur legen wir gemeinhin einen großen Wert auf die Work-Life-Balance. Das ist in unserer Branche nicht unbedingt üblich, wird aber dennoch konsequent durchgezogen. Und dazu gehört nun mal auch der Urlaub. Insbesondere unser Chefdenker Daniel hat hier eine besonders interessante Herangehensweise. Er nimmt sich nämlich einmal im Jahr seinen Jahresurlaub und ist dann für sage und schreibe vier Wochen weg. Offensichtlich hat er niemals in Ost-Berlin Softeis gegessen.

 

Lucky you.

 

Für uns Zurückgebliebene stellen sich während dieser Zeit vorrangig existentielle Fragen. Denn so erfreulich die kleine Auszeit für den Boss ist, so gefährlich könnte das Machtvakuum werden, das er hinterlässt. Übrigens: Immer, wenn der Bergriff Machtvakuum fällt, dürstet es den Bildungsbürger nach der Erwähnung des „horror vacui“. Weil Guido Knopp das so will. Ist ja auch vernünftig und sei somit geschehen. Wer jetzt nicht zu besagter Gruppe gehört, dem hilft vielleicht folgendes Bild: Wenn Batman vier Wochen Urlaub in der Karibik macht, um bei Drinks mit Schirmchen mal locker durch die Hose zu atmen, bringt das in der Heimat zwangsläufig den Joker auf den Plan – ganz genau, um das Machtvakuum auszufüllen.

 

Das ist eigentlich auch eine ganz gesunde Angelegenheit. Schließlich muss man auch mal die dunkle Seite herauslassen. Und ziviler Ungehorsam ist als Ventil ganz besonders dann wichtig, wenn es eigentlich gar nichts gibt, wogegen sich aufbegehren lässt. Sonst stauen sich all die schlechten Energien auf und führen zu emotionalen, thermonuklearen Reaktionen.

 

Wenn man allerdings jemals das zweifelhafte Vergnügen hatte, Damla in der Kaffeeküche über den Weg zu laufen und dann dieses hämisch, angriffslustige Lachen vernehmen musste – nur weil sie gerade herausbekommen hat, dass der Texter gebürtig aus der Bauern-Metropole Bergheim kommt – dann darf man vor so einem Machtvakuum Angst haben.

 

Auch die Aussicht, dass Tom die nächsten Wochen in Leggins ins Büro kommt, kann zu schlaflosen Nächten führen. Insbesondere, wenn man vor Augen hat, dass die erst jüngst als Schicksalsbürogemeinschaft zusammengeschweißten Jenny „Pikachu“ Ahlheim und Patrick „Der Zinker“ Ekert ohne Dompteur ganz zwangsläufig ihr blutiges Endgame zelebrieren werden. Und da helfen dann auch keine lederbeschlagenen Doppeltüren mehr.

 

Ach ja  – was im Spielzimmer der Kreativen im Obergeschoss ohne vernünftiges Regulativ passieren kann, muss ich wirklich nicht näher beschreiben. Dagegen ist Plastiksprengstoff nur Kinderknetmasse. Oh Lord. Die Reiter der Apokalypse sind nah. Die sieben Siegel sind zerbrochen. Mir wird ganz flau.

 

Zumal mir selbst nur ganz bescheidene Mittel des Aufbegehrens bleiben. Ich könnte zum Beispiel endlich mal „Nippel“ schreiben. Einfach so. Oder eine ganz und gar inhaltslose Zeile wie diese:

 

„Die Druckmittelbeschichtung der Heilbuttvorlage ist werksseitig linksdrehend eingestellt.“

 

Wirklich befreiend.

 

Vielleicht hoffen wir einfach alle das Beste und bereiten uns auf das Schlimmste vor. Das hat immer ganz gut funktioniert. Und falls sie in den nächsten vier Wochen mal vorbei schneien wollen – einfach beim Betreten der necom Villa kurz innehalten. Die Tür nur einen Spalt weit öffnen und erst mal reinfühlen. Sollte es zum Äußersten gekommen sein, werden die Anzeichen eines Kampfes nicht zu überhören sein. Im Zweifelsfall empfehle ich zuvor das Studium der ersten vier Staffeln „The Walking Dead“. Zombieapokalypsen können sehr lehrreich sein.

 

Und nie vergessen: Alles wird gut.

 

Memo an mich: Nicht an Softeis denken!

Autor: Daniel Schreiber